Kapitel 7 - Die Truhe aus dem Wasser
Ein warmer Morgen in Spukstein. Über dem Hof schwebt feiner Nebel, und aus dem Schlossgraben steigen Blasen auf. Karl, das Krokodil, taucht prustend auf, schiebt mit kräftigem Schwanz eine schwere, algenbewachsene Truhe ans Ufer und schleppt sie in den Schlosshof.
„Ähm … ich habe da was gefunden“, sagt Karl und blinzelt. „Aber alleine reinschauen? Traue ich mich nicht.“
Im Nu sind alle da: Isi, die Eule schau neugierig, Ganosch, der schwarze Kater ist skeptisch; Pfefferkorn, kommt flink aus dem Mauseloch, Anton, der kleine Affe, vor Aufregung kaum aufzuhalten, und natürlich Banoo, das Schlossgespenst.
Ein aufgeregtes Durcheinander entsteht. „Sollten wir die überhaupt öffnen?“, fragt Ganosch. „Es muss einen Eigentümer geben“, murmelt Isi. „Wer weiß, vielleicht ist etwas Gefährliches drin?“, meint Pfefferkorn und hält sich ängstlich an Karls Schwanz fest.
Da ruft Banoo: „Hey Leute, schaut mal – eine Schatzkarte!“
Alle verstummen. „Wie … hast du die Truhe schon aufgemacht?“, fragt Anton. Banoo nickt. „Leute, den Schatz müssen wir gemeinsam finden! Das wird bootastisch!“
Auf dem Hof wird die Karte ausgebreitet. Pfefferkorn hält eine Ecke fest, damit der Wind sie nicht davonträgt. Isi beugt sich darüber und strahlt: „Das kenne ich! Hier ist unser Schloss, dort das Dorf Bärental, hier die Berge – und der Fluss, der in der Sonne glitzert.“
„Und da ein rotes Kreuz“, ruft Karl. „Was das wohl bedeutet?“ – „Dass wir Proviant brauchen!“, ruft Anton. „Und zwar sofort!“
Es wird gepackt: frisches Brot, Äpfel, ein Stück Käse, eine Flasche Quellwasser, Pfefferkorns winzige Decke und Ganoschs Pfotensalbe „für alle Fälle“. Isi steckt die Karte unter den Flügel, Karl trägt die Truhe – „Vielleicht brauchen wir sie noch“, sagt er – und Banoo schwebt voraus.Unten im Tal treffen sie einen Bachreiher. „Guten Tag!“, ruft Isi höflich. „Welcher Pfad führt zum Steinbruch?“ Der Reiher nickt nach Norden. Vom Schatz schweigen sie – Isis Idee, damit niemand Verdacht hegt.
Später wippt ein Murmeltier auf einem Felsen. „Pssst, heute nicht so laut“, rät es. „Im alten Bergwerk schlafen Steine, die nur ungern geweckt werden.“ Anton kichert, hält sich aber die Hand vor den Mund. Ganosch schleicht an Brombeerhecken vorbei, Pfefferkorn angelt sich eine winzige Beere und steckt sie Karl hin: „Für viel Kraft!“
Gegen Nachmittag erreichen sie eine Felswand mit einem dunklen Eingang einer Höhle – wie der Mund eines Riesen. Über der Höhle: ein verblasstes Zeichen, kaum sichtbar, doch auf der Karte leuchtet an derselben Stelle ein rotes Kreuz.
„Gehen wir hinein?“, fragt Karl und räuspert sich. „Vielleicht sollten wir warten“, meint Ganosch. „Oder Kerzen holen“, schlägt Pfefferkorn vor.
Da hallt Banoos Stimme schon aus der Höhle: „Kommt her, ich habe etwas gefunden!“
„Banoo!“, ruft Isi. „Nicht wieder alleine!“ – „Ich war doch gar nicht weit weg“, schallt es zurück.
Im schummrigen Licht hängen Wassertropfen an den Wänden wie funkelnde Sterne. Auf einem steinernen Podest steht eine große Truhe. Banoo sitzt obenauf und grinst. Anton ist als Erster bei ihm. „Aufmachen?“ – „Aufmachen!“
Es knarzt und quietscht, als wäre die Truhe seit hundert Wintern nicht bewegt worden. Alle beugen sich vor, der Atem hält an.
Innen liegt kein Gold, keine Edelsteine, keine Kronen. Nur ein Brief, gewickelt in grobes Tuch. Isi hebt ihn sorgsam heraus und liest laut:
„Wenn ihr es gemeinsam bis hierhin geschafft habt, könnt ihr alles gemeinsam schaffen. Ihr seid wirklich gute Freunde, auf die sich jeder verlassen kann. Das ist der größte Schatz, den ihr finden könnt.“
Karl lächelt breit, sodass seine Zähne im Halbdunkel blitzen. Pfefferkorn wischt sich eine Träne vom Schnurrbart. Ganosch nickt langsam, als hätte er das schon immer gewusst. Anton legt Banoo den Arm um die Schulter. Und Banoo? Er strahlt, als wäre das ganze Bergwerk mit warmem Licht gefüllt.
„Dann haben wir ihn gefunden“, sagt Isi leise. „Den größten Schatz.“
Auf dem Rückweg fühlt sich der Pfad kürzer an. Die Karte steckt wieder sicher unter Isas Flügel, die leere Truhe rumpelt auf Karls Rücken, und über allem schwebt – ganz sanft – das Gefühl, dass gemeinsam wirklich alles möglich ist.
Und wenn es am Spukstein wieder blubbert, wissen unsere Freunde: Das nächste Abenteuer wartet vielleicht schon im Schlossgraben.
